Gastraum der Jamtalhütte nach den Lawinen am 22. Februar 1999 | © Herbert Aupperle

… Vorsicht Lawine!

Wusstest du schon?

01.01.2021

Berge im weißen Winterkleid sind wunderbar. Aber die weiße Pracht hat auch ihre dunklen Seiten, die zwar zunehmend erkannt und als Warnung kommuniziert werden, aber bis heute nicht abschließend erforscht und durchschaut sind.

Auch die Chronik der Sektion Schwaben kennt schwere materielle Schäden und erschütternde menschliche Verluste durch Lawinen, und, selten genug, Ereignisse mit glücklichem Ausgang.

Materielle Verluste bei unseren Hütten

Als ihre zweite Hütte erstellte die Sektion Schwaben 1901 das Haller Angerhaus im Karwendel, auf dem Kohlerboden, im Tal des Lafatscherbachs, der obersten Isar. Das entsprechend seiner Höhenlage auf etwa 1650 m im Tiroler Stil erbaute Haus wurde im Januar 1914 durch eine Lawine völlig zerstört. In der Festschrift zum 50. Sektionsjubiläum 1919 schrieb der Hüttenwart Julius Gutmann: „Jahrhundertealte Bäume am Abhang des Suntigers … ließen den Platz gefeit erscheinen gegen die Gefahr des Lawinensturzes. – Umso schmerzlicher war die überraschende Nachricht, dass das Haus einer ungeheuren Sturzlawine zum Opfer gefallen sei. Die Kommission zur endgültigen Festsetzung des neuen Hüttenplatzes fand Pfingsten 1914, etwa drei Monate nach der Zerstörung noch tiefe Schneemassen im breiten Tale, starke Balken, wie Streichhölzer geknickt, Türen, Dachgiebelreste lagen mehrere 100 m von der Ruinenstätte umher…, während andere zerbrechliche kleine Gegenstände, ein Glaszylinder, eine Wanduhr, Trinkgläser, unbeschädigt aus dem Schnee gezogen wurden.“ Die Breite der Lawine wurde auf 800 m geschätzt.

Schnee- und Lawinenkunde sind ein weites Forschungsfeld, mit großen Fortschritten, aber auch noch offenen Fragen. Die Beschreibung von Gutmann passt exakt zur Kenntnis über Staublawinen: Eher seltene, aber heftige Ereignisse, ungeheure Massen an lockerem Schnee an hohen, steilen Bergflanken, verheerende Druckwelle mit Geschwindigkeiten bis über 300 Kilometern pro Stunde, starke Verwirbelung mit der Luft und wachsende Breitenausdehnung. Aller Widerstand ob Bäume, Hütten, Häuser und ganze Ortschaften werden weggefegt.

Das neue Hallerangerhaus wurde im Zirbenwald unter der Speckkarspitze, knapp 100 m höher und einen halben Kilometer entfernt erbaut und 1924 eingeweiht.  

Am 22. Februar 1999, nach tagelang anhaltenden Schneefällen, rasten am späten Abend zwei oder mehr Staublawinen von Südosten, aus Richtung Pfannknecht, linker Talhang des Futschölbachs, auf die Jamtalhütte zu, die bereits meterhoch eingeschneit war. Der Eingangsbereich, Türen, Fenster und Läden wurden eingedrückt und die Räume teilweise mit Schnee gefüllt. Die beiden Häuser blieben stehen und Hüttenwirt Gottlieb Lorenz, sowie die wenigen Gäste, blieben unverletzt.

Die Schneehöhe um die Hütte erreichte danach bis über 10 m, man konnte fast eben auf das Dach gelangen. Auch diese Lawinenfolge war ein einmaliges Ereignis in 140 Jahre Geschichte der Jamtalhütte, deren heutiges Aussehen zum Schutz vor Lawinen neu konzipiert wurde.

Erschütternde Verluste an Menschenleben

Die furchtbare Katastrophe ereignete sich aber am folgenden Tag in Galtür. Nach den tagelangen Schneefällen waren die Ortschaften im oberen Paznaun abgeschnitten und es bestand höchste Lawinengefahr. Am 23. Februar kam es nachmittags zu einer 200 m breiten Staub- und Grundlawine aus 2700 m Höhe an der Südflanke des Grieskogels. Sie erfasste Teile Galtürs, die schwer verwüstet wurden. Während etwa 20 Verschüttete befreit werden konnten, kamen 31 Menschen, Gäste und Einheimische, zu Tode. Darunter waren Hildegard und Edith Lorenz, die Frauen der Männer auf der Hütte, die ehemalige und die damalige Hüttenwirtin. Der Ort und die Bevölkerung waren lange vom Schock der Tragödie gezeichnet. Es herrschte tiefe Trauer, auch in der Sektion Schwaben und weit darüber hinaus. Heute steht am Ortsrand eine gewaltige Lawinen-Schutzmauer. Im angebauten Alpinarium können die Ereignisse dieser Tage nachverfolgt werden.

Aber schon früher war die Sektion von tragischen Lawinen-Ereignissen ihrer Jugendgruppe unter verantwortlicher, erfahrener Führung betroffen worden. Die Ausfahrt zu Ostern 1962 führte in die Krimmler Tauern. Nach Schneefall, dann aber kalter Nacht und gutem Wetter, stürzte eine 120 m breite Lawine zu Tal und verschüttete vier Teilnehmer, drei davon tödlich, Günther Breuninger, Karl Haist und Ulrich Kessel. Der Tod dieser jungen Menschen hat in den Familien unheilbare Wunden hinterlassen und führte zu schwerwiegenden Fragen und Diskussionen unseres Tuns und der Verantwortung, in der Öffentlichkeit und der Sektion.

Trotz verbesserter Sicherheitsmaßnamen und Ausbildung wurde unsere Jugendgruppe zu Ostern 1984 erneut schwer getroffen. Bei einer Rast unweit des Aufstiegsweges durchs Jamtal zur Hütte, wurden mehrere Mitglieder durch eine Nassschnee-Lawine verschüttet. Für Ingrid Kayser und Heiko Herkner kamen die sofortigen Rettungsmaßnahmen zu spät, sie konnten nur noch tot geborgen werden.
Gedacht werden muss an dieser Stelle vieler Lawinenopfer, auch aus der Sektion, die hier nicht mit Namen genannt und oft unbekannt sind, aber nicht vergessen sein dürfen.

Tragik und Überleben, in den Anden, im Himalaya und Pamir

Hans Schweizer übernahm nach Hermann Hoerlin die Leitung der Bergsteigergruppe. Auch er ein hervorragender Bergsteiger, dem mit Fritz Schäfer 1936 im Kaukasus großartige Wege gelungen waren. Zusammen mit Walter Brecht, Karl Heckler und Karl Schmid aus der Sektion war er Teilnehmer der Deutschen Anden-Expedition 1939 in die Cordillera Blanca. Nach Besteigung des Nordgipfels am Huascaran und erstmals von sechs Sechstausendern, sollte noch eine abgelegene Berggruppe erkundet werden. Unweit des Hochlagers am Tunshu (5706 m) wurden Hans Schweizer und zwei weitere Teilnehmer am 28. August morgens von einer Schneebrett-Lawine, die sich 60 m höher gelöst hatte, tödlich verschüttet. Vier Tage später begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg. Die Toten wurden in Peru bestattet.

An der Winter-Expedition zur Rupalflanke des Nanga Parbat 1964 konnten auch zwei junge Bergsteiger aus der Sektion teilnehmen. Beim Hinausqueren aus steiler Fels- und Eiszone auf den Wieland-Gletscher wurde ein Schneebrett ausgelöst. Die Lawine fegte die angeseilte Gruppe über den Gletscherabbruch in eine 1000 m hohe Rinne. Karl Reinhold, noch nicht angeseilt, wurde mitgerissen, konnte sich aber bald befreien. Nach 500 m kamen die Schneemassen überraschend zum Stillstand. Obenauf ein wirrer Haufen von Seilen, Steigeisen, zerfetztem Material und vier lebenden Körpern, mit blutenden Wunden, Prellungen und gebrochener Rippe. Der Wiederaufstieg war mühsam, aber bald kam Hilfe entgegen.

An der schwäbischen Pamir-Expedition 1981 nahmen Fritz Sommer als Leiter, Uli Calmbach, Ralph Stöhr und Hubert Bleicher von der Sektion Friedrichshafen teil. Beim Aufstieg auf den Pik Ismoil Somoni, früher Pik Kommunismus, 7495 m, wurde am Auslauf des Gipfelaufbaus auf etwa 6100 m Höhe ein Lager errichtet. Weiter schreibt Ralph: „Plötzlich hörten wir ein Rumpeln, das immer lauter wurde. Ich sagte noch: „Fritz, ist das eine Lawine?“, als schon der Schnee gegen das Zelt raste und uns vor sich herschob. Als wir zum Stillstand kamen, war die Hälfte des Zeltes unterm Schnee begraben, oben war kein Schnee. Fritz reagierte als erster, schnitt mit einem Messer durch die Zeltplane und schlüpfte ins Freie.“ Und weiter: „Aber von Uli und Hubert und ihrem Zelt keine Spur zu sehen. Der Schnee hatte sie vollkommen bedeckt. Plötzlich rief Fritz: „Da! Der Schnee bewegt sich!“ Wir begannen mit bloßen Händen und mit einem Kochtopf zu graben und stießen nach vielleicht 30, 40 Zentimetern auf Zeltstoff. Wir gruben wie verrückt und rissen bald das Zelt auf. Da war Uli zu sehen, von Hubert nur die Füße. Er steckte kopfüber im Zelt.“ Alle vier kamen mit dem Schrecken davon.

Text: Wilhelm Schloz, unter Verwendung sektionseigener und weiterer verfügbarer Informationen.